Re: Bürgerversicherung (Sozialpolitik)

Elgin Fischbach @, Sonntag, 10.08.2003, 18:34 (vor 7774 Tagen) @ Heri Zey

Apropos ver.di-Streik im Wachgewerbe NRW: Gerade die privaten Wach- und Sicherheitsdienste zahlen im Regelfall vielen Vollzeit-Arbeitskräften keine existenzsichernden Löhne und Gehälter - nicht zuletzt deshalb hat ver.di bereits vor dem von Ihnen angesprochenen Tarifabschluss in NRW auf einen tariflichen Mindestlohn für die Beschäftigten dieser Branche auf Bundesebene erzielen können. Denn: Wer ganztags arbeitet, muss davon eine wirklich menschenwürdige Existenz (im Gegensatz zur heutigen Sozialhilfe - die lt. aktueller Meldungen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wegen der in den letzten 10 Jahren aus kurzfristigen fiskalischen Gründen erfolgten "Deckelungen" - trotz in diesem Zeitraum gestiegener allgemeiner Lebenshaltungskosten - um ca. 16 % zu niedrig ist) bestreiten können! Darüber hinaus müssen per Tarifvertrag für alle Beschäftigtengruppen in allen Bundesländern die Preissteigerungsraten ausgeglichen werden - also auch in NRW!

Was ich unter "gleichberechtigt pflichtversichert" verstehe:
1) Ausweitung des pflichtversicherten Personenkreises auf Selbstständige, Freiberufler, Beamte (weshalb soll dieser Personenkreis von der allgemeinen Versicherungspflicht ausgenommen werden, was im negativen Fall beispielsweise bei späterer Erwerbslosigkeit den Gang aufs Sozialamt zur Folge hat - wegen in der Vergangenheit nicht geleisteter Beitragszahlungen an die Arbeitslosenversicherung?)
2) Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze (damit sich Besserverdienende nicht legal von ihren solidarischen Pflichten gegenüber der Gesellschaft entziehen können).

Apropos Solidarität: Im Grundgesetz ist bis heute vorhanden, dass jede(r) BürgerIn einen seiner individuellen Leistungsfähigkeit angemessenen Beitrag für die Allgemeinheit zu leisten hat - bloß wird dies seit ca. zwei Jahrzehnten von der politischen Praxis konterkariert (siehe rot-grüne Steuerreform: Überproportionale Absenkung des Spitzensteuersatzes/Einnahmeausfälle bei der Körperschaftssteuer etc., siehe Sozialreformen: Einseitige Entlastung der Arbeitgeber bzw. Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung - sei es in Form von künftig privat zu versichernden Leistungsausgliederungen aus der GKV oder die Einführung der "Riester-Rente" in Kombination mit der Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus)!

In diesem Zusammenhang steht auch im Grundgesetz: Eigentum verpflichtet, es soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Die politischen Antworten darauf wären:
1) deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuer auf internationales Niveau
2) verfassungskonforme Wiedereinführung der Vermögenssteuer
Selbst in den von der Wirtschaft oftmals so hochgelobten USA sind diese Steuerarten vorhanden (Vermögenssteuer) bzw. auf einem deutlich höheren Niveau angesiedelt (Erbschaftssteuer).

Apropos "Lobbyinteressen": Gewerkschaften sind keine Blockierer und Reformverhinderer (wie derzeit oftmals unterstellt)! Beispielsweise hat mittlerweile selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erkannt, dass die derzeitige, ungewöhnlich lang anhaltende Wirtschaftskrise auf einer zu schwachen Binnennachfrage beruht - denn Deutschland ist nach wie vor Exportweltmeister (wäre der Export nicht so stark, wäre die derzeitige Wirtschaftskrise noch weitaus schwerwiegender als heute). Hieraus folgt: Wir benötigen nicht noch mehr Entlastungen für Besserverdienende, Vermögende und Unternehmer (angebotsorientierte Wirtschaftspolitik), sondern endlich eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik (von der Arbeitnehmer der unteren und mittleren Einkommensgruppen sowie sozial Schwache profitieren, die ihre Einkommen im Gegensatz zu Vermögenden und Besserverdienenden unmittelbar nachfragewirksam ausgeben). Die Privatisierung bisher von der gesetzlichen Sozialversicherung übernommener Leistungen ist in diesem Zusammenhang absolut schädlich - denn die den Arbeitnehmern auf diese Art und Weise einseitig aufgebürdete soziale Absicherung entzieht ihnen Kaufkraft und schwächt somit den privaten Konsum noch zusätzlich. Außerdem benötigen wir eine weitaus deutliche Steuerentlastung der unteren und mittleren Einkommensgruppen als bisher - dazu gehört nach meiner persönlichen Meinung beispielsweise auch eine deutliche Anpassung des steuerfreien Existenzminimums nach oben hin (Bruttojahreseinkommen bis zu 18.000,00 EUR für Singles bzw. 24.000,00 EUR für Verheiratete mit einem Alleinverdiener, je Kind zusätzlich bis zu 3.600,00 EUR/Jahr).

Gruß
Elgin


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