Re: @elgin_fischbach (Sozialpolitik)

Elgin Fischbach @, Donnerstag, 25.09.2003, 22:21 (vor 7728 Tagen) @ Lui

Zitat:

"ständig steigende Leistungsausgaben"

Die Leistungsausgaben sind im langjährigen Mittel tendenziell nicht nenneswert angewachsen (wie im Rahmen der ver.di-Gesundheitskampagne im Internet - http://www.verdi.de - unter dem weiterführenden Link "Gesundheitskampagne" für Jedermann nachzulesen ist!). Die sinkenden Einnahmen - wie von "Lui" schon richtig erkannt - sind neben den Verwaltungskosten mancher Krankenkassen (nicht umsonst hat der Gesetzgeber die Krankenkassen mittlerweile aufgefordert, dass die Verwaltunskosten im laufenden Jahr zumindest auf dem Vorjahresstand "eingefroren" werden müssen) ein Hauptgrund für die aktuelle Misere:

- Reduzierung der Krankenkassenbeiträge für Langzeitarbeitslose seitens des Bundes (aus kurzfristigen fiskalischen Gründen)
- Umwandlung zuvor sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in "geringfügige" Jobs
- Veränderung der Erwerbsbiographien (Zunahme nicht sozialversicherungspflichtiger Selbstständiger und Freiberufler, abnehmende Zahl nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigter, "Patchwork"-Biographien etc.)
- vermehrte Abwanderung "besser Verdienender" in die private Krankenversicherung
- Zunahme "versicherungsfremder" Leistungen, die wegen ihres allgemeingesellschaftlichen Charakters eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden müssen (Mutterschaftsgeld, Lasten der deutschen Wiedervereinigung etc.)

Hier muss - nicht nur aus meiner Sicht, sondern auch aus derjenigen von ver.di - der Hebel angesetzt werden:

- Rücknahme der Beitragsreduzierungen für Langzeitarbeitslose durch den Bund
- Infragestellen einer Beitragsbemessungsgrenze (damit sich besser Verdienende nicht mehr so einfach legal aus dem solidarischen System der gesetzlichen Krankenversicherung verabschieden können)
- Erweiterung der Einnahmenbasis in Form einer "Bürgerversicherung" (auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte, Politiker etc. sollen einzahlen - zumal dieser Personenkreis in nicht wenigen Fällen zu den besser Verdienenden gehört), bei der auch Einkünfte aus Kapitalvermögen (Miet-, Pacht- und Zinseinnahmen) zu den beitragspflichtigen Einnahmen zählen
- Herausnahme "versicherungsfremder" Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und deren Finanzierung aus Steuermitteln


Zitat:

"Viele von den vorgenannten „Behörden“ stehen nicht im Wettbewerb und hätten guten Service mangels Konkurrenz auch nicht nötig. Warum wohl machen sie’s dann?"

Gerade im Bankenbereich nehmen Online-Banking und andere technische Möglichkeiten immer mehr zu - mit dem Ergebnis, dass die persönliche Beratung in Geschäftsstellen deutlich eingeschränkt wird (erkennbar nicht zuletzt auch an der enorm steigenden Arbeitslosigkeit ehemaliger "Banker"). Manche Banken haben lediglich noch einen Hauptsitz und erwarten von ihren Kunden somit geradezu die Akzeptanz moderner Kontoführungsmethoden. Andererseits hat dies - im Interesse der Kunden - auch Einfluss auf die Höhe von Kontoführungsgebühren etc., die der Kunde bei den meisten Banken nach wie vor zu bezahlen hat (mit Ausnahme weniger Banken, wo es bisher schon gebührenfreie Girokonten gab - zumindest für Privatkunden - und auch weiterhin gibt wie beispielsweise bei der Sparda-Bank oder der Badischen Beamtenbank eG). Wäre der großen Mehrheit der Kunden die persönliche Beratung in einer Geschäftsstelle so wichtig (trotz damit ggf. einhergehender höherer Gebühren), hätte es schon längst einen großen "Aufstand" geben müssen - denn der Kunde bestimmt letztlich immer das Geschäft, egal ob bei Banken, in der gesetzlichen Krankenversicherung oder anderswo!

Zudem bieten beispielsweise immer mehr Kommunalverwaltungen ihren Bürgern an, diverse Anträge online auszufüllen, auszudrucken, daheim zu unterschreiben und - versehen mit allen notwendigen Anlagen - per Post rechtskräftig zu verschicken. Vorteile: Zeitliche Unabhängigkeit von Sprechstundenzeiten - besonders im Sinne berufstätiger "Kunden", für die Behördenmitarbeiter und ihre Arbeitgeber gleichermaßen: Verstärkte Konzentration auf die eigentliche konkrete Arbeit (Antragsbearbeitung) - d. h. keine ständige Ablenkung durch Publikumsverkehr, was im Interesse der "Kunden" zu kürzeren Bearbeitunszeiten führt.

Es gibt noch viele weitere handfeste Beispiele - aber belassen wir es "mal dabei!

Die oft gehörte Ausrede, dass nach wie vor etliche Menschen keinen Zugang zu modernen Kommunikationstechniken hätten, lasse ich heutzutage nicht mehr gelten: Selbst für Senioren, Behinderte etc. gibt"s mittlerweile genügend spezielle Einstiegsangebote (Internetkurse etc.), und "neue" PCs sind im Gegensatz zu früheren Jahren deutlich billiger geworden (bei einer Neuanschaffung genügt für einen durchschnittlichen Anwender eine "Standard-Ausstattung" ohne besondere Features - daneben gibt"s nach wie vor auch die Möglichkeit, gut erhaltene "gebrauchte" PCs günstig zu erwerben) - d. h. Einstiegswillige haben heutzutage vielfältige Möglichkeiten! Hinzu kommt: Nach meiner eigenen Erfahrung gibt"s im Informationsalltag immer mehr Problemstellungen, die nur noch mit "moderner" Technik zu bewältigen sind.


Apropos "RSA"/"Solidarität":

Jeder hat seit dem Jahr 1996 das Recht, "seine" Krankenkasse frei zu wählen - auch Arbeitslose, Geringverdiener, Rentner, Sozialhilfeempfänger (diese sollen ja bald auch "normale" Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung werden dürfen). Wer davon bei Unzufriedenheit keinen Gebrauch macht und deshalb - auch nach 7 Jahren freiem Krankenkassenwahlrecht - in einer Krankenkasse mit überproportional niedriger Einnahmenbasis versichert ist, muss sich über die damit einhergehende finanzielle Konsequenz (höherer Krankenkassenbeitrag) bewusst sein, wenn er/sie keine Leistungsabstriche hinnehmen will!

Für eine befristete Übergangszeit (2 - 3 Jahre) hätte ich den RSA sicherlich akzeptiert, weil die AOKen - im Gegensatz zu ihren Konkurrenten - früher gezwungen waren, jeden Antragsteller aufzunehmen (was ungleiche Ausgangsbedingungen beim Einstieg in den Wettbewerb zur Folge hatte). Nach mittlerweile fast 7 Jahren jedoch bin ich der Meinung, dass die AOKen mittlerweile wirtschaftlich "auf eigenen Beinen" stehen müssen - was ihnen letztlich nur durch die Gewinnung von Neuinteressenten mittels attraktiver Angebote (solche, die bei vielen Konkurrenten nach wie vor unterrepräsentiert sind - beispielsweise besonderes Engagement bei alternativen Heilmethoden, sei es in Form von Modellprojekten oder freiwilliger Satzungsleistungen) gelingen kann. Denn die Probleme der Mitgliederstruktur bei den AOKen lassen sich letztlich nur dadurch lösen, dass solide verdienende NeuinteressentInnen durch attraktive Angebote geradezu "angelockt" werden (so sehr, dass sie - trotz ggf. höherem Beitragssatz - wegen der freiwilligen Leistungsangebote letztlich nicht mehr widerstehen können!).

Darüber hinaus bin ich nach wie vor der Meinung, dass nicht in jedem kleinen Ort eine Geschäftsstelle notwendig ist (es reicht aus meiner Sicht vollkommen aus, wenn in allen kommunalen Großstädten - bei überdurchschnittlicher Mitgliederzahl in bestimmten Regionen auch in den entsprechenden Mittelzentren mit mindestens 50.000 Einwohnern - Geschäftsstellen vorhanden sind). Viel wichtiger ist - auch gemäß meiner bisherigen praktischen Erfahrung - die fachkompetente telefonische Erreichbarkeit außerhalb der "üblichen" Arbeitszeiten (abends, Wochenende). Denn immer weniger Arbeitgeber akzeptieren es, dass ihre Beschäftigen "private" Dinge (wozu aus der Sicht vieler Arbeitgeber mittlerweile auch Probleme mit der Krankenkasse gehören - obwohl gute Gesundheit geradezu die Grundvoraussetzung für eine hohe Leistungsfähigkeit im Berufsleben darstellt) während der Arbeitszeit erledigen. Somit muss ein Abbau des Geschäftsstellennetzes nicht automatisch zur Entlassung qualifizierter Fachkräfte führen - denn diese werden nämlich für einen fachkompetenten Telefonservice außerhalb der "üblichen" Arbeitszeiten dringend benötigt! Dieser Telefonservice kann jedoch an zentralen Standorten erfolgen - was zu Kosteneinsparungen bei "fixen" Mietkosten etc. führt, die bei einem umfangreichen Geschäftsstellennetz deutlich höher liegen!

Gruß
Elgin


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