suedkurier.de - 14.06.2007
60-Millionen-Loch in der Kasse
BKK: Fehlbuchungen in großem Stil - Vorstand und Stellvertreter beurlaubt
Rheinfelden
Vom Musterknaben zum Sorgenkind: Der Betriebskrankenkasse (BKK) Hochrhein-Wiesental stehen schwere Zeiten bevor.
Wie Ermittlungen im Auftrag des baden-württembergischen
Arbeits- und Sozialministeriums ergaben, soll die Kasse Fehlbuchungen zu ihren Gunsten in Höhe von 60 Millionen
Euro vorgenommen haben - Geld, das jetzt fehlt, wodurch der Bestand der BKK massiv gefährdet scheint.
Ein Loch von 60 Millionen Euro tut sich derzeit bei der BKK Hochrhein-Wiesental auf. Grund: Fehlbuchungen in großen Stil,
um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verbessern.
Vorsstand Karl-Heinz Hartmann (kleines Bild) wurde beurlaubt.
Ins Rollen kam die Untersuchung im Zuge des Verfahrens gegen den früheren Finanzbuchhalter, der 1,1 Millionen Euro in die
eigene Tasche abgezweigt hatte - "Peanuts" im Vergleich zu
der Summe, um die es jetzt geht. Der Betrag von 60 Millionen
Euro entspricht dem aktuellen Stand der Ermittlungen, die
jedoch noch nicht abgeschlossen sind. "Es kann mehr, es
kann aber auch weniger werden", erklärt Carlos Philipp, der Pressesprecher des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen. Gemeinsam mit dem Arbeits- und Sozialministerium hat der Verband ein Paket von Sofortmaßnahmen geschnürt, um die Vorgänge lückenlos aufzuklären.
Vorstand Karl-Heinz Hartmann und sein Stellvertreter Sven Mau wurden mit sofortiger Wirkung beurlaubt, ein Mitarbeiter des BKK-Landesverbands führt vorübergehend die Geschäfte, "damit die Kasse einen Kopf hat", wie es Carlos Philipp ausdrückt. Abgesehen davon wird der Landesverband einen Sanierungsvorstand einsetzen, der prüfen soll, wie der Fehlbetrag ausgeglichen und wie die Kasse weitergeführt werden kann.
"Das muss eine Person mit Fachkompetenz im Krankenkassenwesen sein", führt der Pressesprecher weiter
aus. Außerdem soll ein externer Wirtschaftsprüfer helfen, die "Unplausibilitäten in der Finanzbuchhaltung" aufzuarbeiten,
heißt es in einer Presseerklärung des BKK-Landesverbands.
Worin diese "Unplausibilitäten" im Einzelnen bestehen, kann
auch Susanne Keller, Pressesprecherin des Arbeits- und Sozialministeriums, derzeit nicht sagen: "Die Prüfungen sind
noch nicht abgeschlossen, die Einzelheiten sind für uns noch
nicht ohne weiteres ersichtlich", sagt sie. Ihr Ministerium hatte
im Frühjahr nach dem Prozess gegen den ehemaligen Finanzbuchhalter das "Prüfungsamt für die Sozialversicherung" nach Rheinfelden in Marsch gesetzt, das bald darauf Unregelmäßigkeiten feststellte. Die 60 Millionen Euro blieben offenbar in den Jahren 2000 bis 2006 in den Kassen der BKK,
statt sie an den Risikostrukturausgleich der Krankenkassen und
an die Pflegeversicherung abzuführen. Wer dieses zu verantworten hat, muss noch herausgefunden werden. Das Arbeits- und Sozialministerium hat jedenfalls auch bei der Staatsanwaltschaft Lörrach Anzeige erstattet. Diese prüft jetzt zunächst, welche Tatbestände in Frage kommen. "Eventuell Untreue oder Betrug", meint Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer.
Wie Carlos Philipp und Susanne Keller übereinstimmend
erklären, hat sich - im Gegensatz zum Fall des Finanzbuchhalters - niemand persönlich bereichert, sondern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der BKK Hochrhein-Wiesental wurde verbessert. Diese zählte seit ihrer Gründung vor elf Jahren stets zu den günstigsten Krankenkassen im Land, ihre Beitragssätze lagen stets weit unter dem Durchschnitt.
Wie und mit welchen Konsequenzen der wirtschaftliche Schaden behoben werden kann, muss jetzt geklärt werden. "Wir werden prüfen, ob die BKK Hochrhein-Wiesental überleben kann",
sagt Pressesprecher Philipp.
Sein Landesverband müsste als Haftungsträger im schlimmsten Fall für die 60 Millionen Euro gerade stehen. "Das ist ein Betrag, der uns natürlich Sorgen bereitet", gibt Philipp zu. Und weiter:
"Auf jeden Fall soll eine tragfähige Lösung im Sinne der 160 Mitarbeiter und der Versicherten gefunden werden."
Möglicherweise könnte das Überleben durch die Fusion mit
einer anderen Kasse gesichert werden.
Kenner der Krankenkassenszene im Landkreis bezweifeln
indes, ob die BKK Hochrhein-Wiesental noch zu retten ist.[/u]
Immerhin, die rund 120000 Versicherten brauchen sich keine Sorgen zu machen: "Für die Versicherten ändert sich bei der gesundheitlichen Versorgung nichts: Ihr voller
Versicherungsschutz bleibt weiter bestehen. Alle Leistungen werden nach wie vor erbracht. Ärzte, Krankenhäuser und
andere Leistungserbringer werden ihre Arbeit vollständig
vergütet bekommen", stellt die Pressemitteilung des Landesverbandes klar.
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