GKV und die Mottenkiste 2.0 (Gesetzliche Krankenkassen)

Joachim Röhl ⌂ @, Berlin 0172-3079777, Dienstag, 14.12.2010, 15:18 (vor 5093 Tagen)
bearbeitet von Joachim Röhl, Dienstag, 14.12.2010, 16:16

Ob die Information nun das Weihnachtgeschenk oder ein vorgezogener Aprilscherz sein soll, ist nicht klar. DGB und SPD haben gemeinsam mit Sachverständigen der Kassen analysiert und heute Nacht dann festgestellt, daß der durchschnittliche gesetzliche Zusatzbeitrag schon in wenigen Jahren bei 56€ und im Jahr 2025 bei 97€ liegen wird. Anstatt aber das Sozialgesetzbuch V endlich kräftig auszumisten und wie von vielen gefordert alle möglichen Trittbrettfahrer zu verweisen, wird nach Gangart unserer letzten Ministerin erneut in die Mottenkiste gegriffen.

Wenn Geschichtserinnerung dann aber richtig: von 1883 bis 1950 hatte die GKV einen Beitragssatz von zwei bis höchstens 6% (sechs!) und wurde im Verhältnis 2:1 von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Aber man könnte ja einfach die mittlerweile 145 Milliarden Alterungsrückstellungen in die GKV "überführen" und somit die Sparleistungen jedes einzelnen Privatversicherten enteignen. Danke schön.

(Bundesrepublik = DDR minus Mauer)

Quelle

GKV und die Mottenkiste 2.0

Kitty, Dienstag, 14.12.2010, 21:29 (vor 5093 Tagen) @ Joachim Röhl

Wenn die Altersrückstellungen in dieser Höhe tatsächlich bestehen sollten, warum hat die PKV den Wechselwilligen den Wechsel so schwer gemacht? Zwische den Zeilen lese ich das Wort Enteignung!

Personen, die ab dem 1.1.2009 eine private Krankenversicherung (PKV) abschließen und zu einem anderen Versicherer wechseln, können ihre Alterungsrückstellungen mitnehmen. Vor dem 01.01.2009 privat Versicherte können ihre Rückstellung nur dann mitnehmen, wenn sie im ersten Halbjahr (d.h. vom 01.01. bis 30.06.2009) wechseln. Und auch nur dann, wenn der Wechsel in den Basistarif eines anderen Versicherers erfolgt. Die Höhe der übertragbaren (portablen) Alterungsrückstellungen richtet sich nach dem Umfang des Basistarifs, d.h. nur die Altersrückstellungen, die dem Basistarif entsprechen, können mitgenommen werden

Wenn wir uns die Positionspapiere der Versicherungs- und Finanzwirtschaft der vergangenen Jahre mal anschauen, wird einem klar, dass die PKV selbst davon ausgeht in schwere Unwetter zu geraten.

Wir müssen hier aktuell von vielen PKV-Versicherten von stark steigenden Beiträgen lesen. Ein Diskussionspapier der Otto-Wolff-Stiftung von 2005 schlägt vor, die GKV auf das Kapitaldeckungsverfahren umzustellen, weil damit steigende Beiträge verhindert werden könnten! Das können die PKV-Versicherten sicher bestätigen...

Aus einem Dokument der IFD von 2006 geht hervor, dass die PKV die Kritik, dass nur Gesunde in die PKV wechseln können mit der Einführung des Basistarifes (Annahmezwang und keine Risikoaufschläge und Leistungsauschlüsse) entkräftet wollte.

Und jetzt schauen wir uns mal an, wieviel man für den Basistarif hinlegen darf und verweise nochmal auf die Praxis bezüglich Mitnahme der Altersrückstellungen.

Aber Herr Röhl, sie haben vollkommen Recht. Das SGB V muss ausgemistet werden.

-bei gesetzlich festgeschriebenen Leistungsumpfang brauchen wir nur eine einzige GKV-Kasse
-Abschaffung der Selbstverwaltung! Auch die der Ärzte. Die Abrechnungsstelle ist dann die eine GKV-Kasse
-Lücken für Trittbrettfahrer abgeschaffen (Flexigesetz ;-) )
-mehrere SV-Abkommen z.B. mit der Türkei aufheben
-beitragsfreie Familienversicherung für Ehegatten abschaffen
-beitragsfreie Familienversicherung für Kinder könnte man bis zm 18. LJ begrenzen und nach Lebensalter staffeln (z.B. ab 6. LJ 25 EUR monatlich, ab 10. LJ 50 EUR monatlich) + Steuerausgleich für Einkommensschwache
-Abschaffung des Apothekermonopols

Ich könnte mich als GKV-Versicherter sogar mit Leistungsausschlüssen bei "ungesundem Verhalten" anfreunden (z.B.bei Drogenmißbrauch).

Es gibt so viele Möglichkeiten die GKV auf bessere finanzielle Füße zu stellen und eine echte Alternative zur PKV für besserverdienende Angestellte zu sein. Die FDP ist ja bei der nächsten Wahl nicht mehr im Bundestag vertreten ;-)

GKV und die Mottenkiste 2.0

Joachim Röhl ⌂ @, Berlin 0172-3079777, Dienstag, 14.12.2010, 22:13 (vor 5093 Tagen) @ Kitty

Halt, es ist nicht Sinn in eine private Krankenversicherung einzutreten um dann laufend das Bäumchen-wechsle-Dich-Spiel zu betreiben. Denn auch wenn Teile der Alterungsrückstellungen ab 2009 übertragen werden: jeder Wechsel ist immer nachteilig wegen neuer Gesundheitsprüfung, des Eintrittsalters und vieler sonstiger aufgegebener Bestandsrechte. In der Praxis der letzten zwei Jahre hat sich gezeigt, daß neue Kunden eher ungeschützt sind gegen den scheinbar nur vorteilhaften Wechsel der Gesellschaft. Die ersten Klagen sind in Vorbereitung, wenn ein einäugiger Provisionsblick den meist unwissenden Kunden dann faktisch übervorteilt hat.

Das man die Umstellung auf teilweise Kapitaldeckung diskutiert finde ich vernünftig, denn auch im System gesetzliche Rentenversicherung hat man vergleichbares eingeführt und so ein totales Absaufen verhindert. Auch muß nicht jeder Zopf des Jahres 1930 oder gar 1938 auf ewig festgeschrieben sein, denn auch die Weisungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungswesen sind längst Geschichte.

Im zweiten Teil stimme ich Dir voll zu und somit wieder medias res.

GKV und die Mottenkiste 2.0

Kitty, Dienstag, 14.12.2010, 22:59 (vor 5093 Tagen) @ Joachim Röhl

Das man die Umstellung auf teilweise Kapitaldeckung diskutiert finde ich vernünftig, denn auch im System gesetzliche Rentenversicherung hat man vergleichbares eingeführt und so ein totales Absaufen verhindert. Auch muß nicht jeder Zopf des Jahres 1930 oder gar 1938 auf ewig festgeschrieben sein, denn auch die Weisungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungswesen sind längst Geschichte.

Die (Komplett-)Umstellung hat sich aktuell leider nicht als vorteilhafter erwiesen - ganz im Gegenteil. DEM Paradebeispiel der Neoliberalen auf der ganzen Welt - Chile (Umstellung vom Umlage zum Kapitaldeckungsverfahren zum 01.05.1981) droht der Crash. Das "Meisterwerk" des Harvard Absolventen Jose Pinera steht vor dem Ende. Neben einigen anderen Unzulänglichkeiten (auch normative), können die benötigten Renditen am Kapitalmarkt nicht erziehlt werden.

Bolivien ist sogar schon einen Schritt weiter. Die vor 13 Jahren durchgeführte Privatisierung, weil das alte System zusammenbrach, wird rückgängig gemacht und soll für mehrere MRD zurückgekauft werden. Die Renten die das private System gezahlt hatte waren extrem niedrig.

Eine Umstellung in Deutschland ist finanziell faktisch nicht zu stemmen. Lesen Sie dazu mal Veröffentlichungen von Manfred Neumann. Dieser Mann beschäftigt sich mit Sozialen Sicherungssystem und deren Finanzierung, unter Berücksichtigung kapialbildender Maßnahmen (incl. nicht ganz einfacher Berechnungen). Diese Spezialliteratur werden Sie im normalen Buchhandel jedoch nur schwerlich finden, weil es keine aktuellen Auflagen gibt. Ich habe meine Exemplare aus einem Antiquariat.

GKV und die Mottenkiste 2.0

Leonard, Mittwoch, 15.12.2010, 08:12 (vor 5093 Tagen) @ Kitty

Sorry, aber die Forderung nach einer GKV ist genau falsch.

Ich möchte nicht von einer Bundeskrankenkasse wie ein Leistungsbettler nach dem Vorbild der Rentenversicherung oder Bundesagentur für Arbeit behandelt werden. Dass der gesetzliche Krankenversicherte einen schnellen Service und dann doch gute Leistungen erhält, verdanken wir ja eben dem Wettbewerb. Sonst würde so mancher seinen noch so einfachen aber vor allem sehr notwendigen Leistungen hinterherlaufen.

Das Thema Selbstverwaltung ist ebenso Quatsch. Sie gehören zu den Vewaltungskosten. Große Einheiten verbrauchen aber mehr Verwaltungskosten als kleine Krankenkassen. Man sehe sich einfach mal die Zahlen an. Die teuersten Verwaltungskosten findet man bei den Ersatzkassen, direkt gefolgt von den AOKen und bei denen sind die fehlenden Pensionsrückstellungen gar nicht in der Bilanz aufgeführt. Wären die Verwaltungskosten ein kostentreiber, weil es so viele Krankenkassen gibt, dann wären ja theoretisch die vielen BKKen und IKKen die teuersten Kassen. Die haben aber trotz der vielen "teuren" Vorstände und der vielen "teuren" Selbstverwaltung die niedrigsten Verwaltungskosten (Wer es nachlesen will: Finanzstatistiken beim BMG).

Viel sinnvoller wäre es, mal endlich das Geld nicht ständig ins Leere laufen zu lassen und den Lobbyisten nachzugeben sondern hier mal aufzuräumen. M. E. ist genügend Geld im System.

GKV und die Mottenkiste 2.0

nur mal so, Mittwoch, 15.12.2010, 09:43 (vor 5093 Tagen) @ Leonard

Als eigentlicher Verfechter der freien Marktwirtschaft (abgesehen von den gierigen auswüchsen) bin ich dennoch der Meinung das Grundbedürfnisse in Staatl. Hände gehören.

Energie
öffentlicher Nahverkehr z.B. Bahn
Trinkwasser
Grundabsicherung Nahrung
Grundabsicherung Krankenschutz
Grundabsicherung gesetzl. Rentenversicherung

Es gibt unzählige negative Beispiele weltweit dass 100% kapitalgedeckte Verfahren gescheitert sind. Dies noch wesentlich schneller als die staatl. regulierten Systeme.

Offizielle 43.000.000 US Amerikaner (tatsächlich wohl 55-60 Mio. = 15-20% der Bevölkerung) welche nur mit staatl. Lebensmitelmarken überleben können. Das sollte uns doch über den ach so tollen "American Way of Life" etwas differenzierter nachdenken lassen.

Betrachtet man die Geschichte so sind immer als erstes die Privaten Anlageformen ausgelöscht worden. Umlageverfahren sind solange Staaten Steuereinnahmen besitzen immer zu einem gewissen Teil funktionsfähig. Natürlich ist die Höhe und die Leistungsfähigkeit ebenfalls von vielen Faktoren abhängig.

Wir werden uns sowohl in der GKV als auch in der PKV auf deutliche Einschränkungen einstellen müssen. Was heute noch Tabus sind wird morgen leider schon mangels Geld bittere Realität werden. Es wird immer mehr der Grundsatz gelten, nicht was möglich ist sondern was bezahlbar ist.

GKV und die Mottenkiste 2.0

Joachim Röhl ⌂ @, Berlin 0172-3079777, Mittwoch, 15.12.2010, 12:14 (vor 5093 Tagen) @ nur mal so

Die aktuelle Zwangsenteigung der privaten Rentenversicherungen in Ungarn, die Ereignisse in Griechenland und Irland zeigen deutlich auf, was bei Schieflagen auch in der EU möglich ist. Die aufgeführten Grundbedürfnisse aber in staatliche Hände zu überführen, stellt unweigerlich die Systemfrage. Bis zum 2.Oktober 1990 um 24 Uhr gab es genau dieses Staatseigentum in Mitteldeutschland und dessen Beseitigung wie auch die Abschaffung der 1947 aufgebauten Sozialversicherung (SV) entsprach zumindestens seinerzeit dem mehrheitlichen Willen der beteiligten Wahlbürger.

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