Tarife und Selbstbeteiligung (Private Krankenversicherungen)

MichaelMV @, Donnerstag, 12.10.2006, 13:03 (vor 6619 Tagen)

Hallo Forum,

ich hatte Gestern ein Gespräch mit einem Versicherungsmakler.
Es steht nun ein Wechsl an zu einer PKV.
Ich würde in dem Fall einen Betrag von 180 € zahlen, bei einer Selbstbeteiligung von 650€

Allerdings findet man sowohl im Internet, wie auch in anderen Medien, häufig PKV Werbung mit Beiträgen von 75€ oder sogar 59€

Das es nun PKV"s gibt die solche Tarife anbieten(75,59), möchte ich fragen, ob es nicht mittlerweile PKV"s gibt wo ich auch 180 € zahle aber ohne Selbstbeteiligung, oder wenn dann nur ca. 100 €
Mir erscheint 650 einfach zu hoch.
Gruss
Michael

Re: Tarife und Selbstbeteiligung

Thomas, Donnerstag, 12.10.2006, 17:28 (vor 6619 Tagen) @ MichaelMV

Ja, diese Billigtarife sind Schrotttarife für Männer unter 25 Jahre ohne Altersrücklage außer die 10% gesetzlicher Zuschlag unter Ausschluss von Wahlleistungen, einem sehr kleinen Hilfs- und Heilmittelkatalog, Deckelung des Steigerungssatzes ambulant auf 2,3-fach, oft 20% ungedeckelte SB auf Medikamente, keine Psychotherapie, keine Reha, keine Kur, keine Anschlussheilbehandlung, Hausarztzwang, sonst 25% SB beim Facharzt, ohne Lohnfortzahlung ...
Soll ich weiter machen? Diese Tarife sind weit unter dem Niveau der GKV, v.a. wenn"s teuer wird. Gehören eigentlich verboten!

Ohne Ihr Alter und Nennung der Gesellschaft und des Leistungsumfangs kann man aber nichts zu Ihrem Angebot sagen. Sollten Sie Angestellter sein, dann ist die SB zu hoch, da der Arbeitgeber bis zur Hälfte des AOK-Beitrages zuzahlen muss. Dann schmeißen Sie Geld zum Fenster raus und müssen zudem im Alter mit einer Explosion der Beiträge im Vergleich zu einem Tarif ohne oder mit geringer SB aus derselben Tariflinie rechnen. Denn je höher die SB, desto niedriger ist die Altersrücklage aus den 10% Zuschlag, da ja der Beitrag niedriger ist!

Sollten Sie Selbständiger sein, achten Sie bitte unbedingt darauf, einen Kur- und Rehatarif abzuschließen, denn das fehlt alles in der normalen PKV, da die Deutsche Rentenversicherungs dafür bei Angestellten einsteht. Bei einem Selbständigen fehlt diese aber und die GKV zahlt dann, die PKV aber nicht!

Lesen Sie sich auch den Hilfsmittelkatalog durch: Brillen und Schuheinlagen sind hier unwichtig, sondern z.B. die oft fehlenden teuren Beatmungsgeräte für über 10Tsd. Euro, die sogar die AOK heranschafft. Auch Prothesen und Rollstühle sind oft unter das AOK-Niveau gedeckelt! Blindenhunde fehlen usw. Auch Nährmittel sind meist ausgeschlossen.

Gehen Sie nocheinmal zu Ihrem Makler und sagen Sie ihm, dass Sie eine schriftliche Bestätigung von ihm wollen, dass die von ihm empfohlenen PKV mindestens GKV-Niveau hat und wo diese drunter ist, soll er es Ihnen offen sagen und Alternativen benennen (z.B. Kur-Zusatztarif, Hilfsmittel: Gesellschaft mit offenem Katalog wie die GKV oder sehr breitem Katalog oder dem Hinweis: "alle lebenserhaltenden Hilfsmittel"). Erst dann wenden Sie sich dem Preis zu.

Billig-PKVs gibts nur bei windigen Beratern, die nur mal schnell Provision machen wollen. Deshalb scheinen Sie schon bei einem besseren gelandet zu sein.
Doch klären Sie v.a. Reha, Anschlussheilbehandlung, häusliche Behandlungspflege (ZAHLT DIE PFLEGEVERSICHERUNG NICHT, auch wenn"s immer behauptet wird) und Hilfsmittel (zahlt die Pflegeversicherung auch meist nicht).
Sparen können Sie eigentlich nur am Einbett-/Zweibettzimmer und Zahnersatz! Darauf kann man verzichten bzw. selber drauf sparen.
Beim Chefarzt müssen Sie schon selber wissen, wie Sie im Krankenhaus behandelt werden und u.U. Opfer der nicht ausreichenden Fallpauschale werden wollen oder nicht. Aber das Problem gibt"s ja bekanntlich auch in der GKV.

Re: Tarife und Selbstbeteiligung

MichaelMV @, Donnerstag, 12.10.2006, 20:37 (vor 6618 Tagen) @ Thomas

Ich danke schonmal für die ausführliche Antwort.

Grosse Hilfe waäre noch eine Auskunft bez SB.

Geht es dabei um jeden Arztbesuch, oder auf das ganze Jahr gesehen ?
Soll heissen -> ich geh im Jahr dreimal zum HNO,
jeder Besuch kostet 1000,
davon zahle ich jedesmal 350 ?
oder werden die Besuche aufs jahr zusammengezählt


Re: Tarife und Selbstbeteiligung

Thomas, Freitag, 13.10.2006, 17:21 (vor 6618 Tagen) @ MichaelMV

Die Selbstbeteiligung ist immer pro Jahr gerechnet, d.h. die ersten 650 Euro an Rechnungen werden nicht bezahlt, müssen allerdings zur PKV eingesendet werden, um die 650 Euro übersteigende Kosten erstattet zu bekommen.

Achten Sie darauf, ob die 650 Euro nur auf den ambulanten oder auch auf den stationären Tarifteil bezogen sind.

Beachten Sie auch, dass die 650 Euro sich nur auf den erstattungsfähigen Anteil einer Rechnung beziehen:
z.B. Sie haben Sie für einen Tarif mit 50% Erstattung Zahnersatz entschieden und haben eine Rechnung über 1100 Euro: Hier stehen Ihnen nur 50% von 1000 Euro Erstattung zu, da der Zahnarzt für 100 Euro z.B. Verblendungen der Backenzahnkronen vorgenommen hat - diese sind medizinisch nicht notwendig. Also werden 100 Euro abgezogen. Damit verbleiben für das Jahr noch 150 Euro Selbstbeteiligung, die Sie tragen müssen. So können also aus 650 Euro schnell 1250 Euro werden, die an Ihnen hängen bleiben.

Beachten Sie auch, dass Sie ein privatrechtliches Verhältnis als Privatpatient mit dem Arzt eingehen. D.h. - wie in der Autowerkstätte - die Rechnung muss bezahlt werden. Ob Ihre PKV zahlt, interessiert Ihren Arzt nicht. Außer die Rechnung ist falsch, bleiben Sie auf Restkosten, die nach Meinung der PKV nicht medizinisch notwendig sind, sitzen. Dies erfahren Sie im Gegensatz zum GKV-Chipkartenpatient nicht gleich vorher in der Praxis, sondern oft erst nachher!
Auch gibt es einige PKVen, die in Ihren AVB etwas von "angemessene" Kosten stehen haben - das bedeutet Ärger! Die Tarife, die mindestens bis zum 3,5-fachen Satz zahlen und keine Angemessenheitsklausel haben, sind meist teurer als der Ihnen angebotene. Also Ihren Tarif bitte überprüfen.

Und zum Schluss: Billig und PKV geht nicht, vergessen Sie"s! Spätestens im Alter wirds teurer, wenn der Traif in jungen Jahren zu billig war. Das ist so, als hätten Sie bei Mercedes ein lebenslanges Abonnement auf die neue C- oder E-Klasse abgeschlossen, egal wie hoch die Stuttgarter den Preis schrauben. Der neue Basistarif ab 1.1.2008 ermöglicht zwar einen GKV-ähnlichen Tarif, muss allerdings aus den anderen Tarifen subventioniert werden und ist nie billiger als die GKV. Was das bedeutet, muss man abwarten. Rechnen Sie bei einem soliden Tarif (also kein Schrotttarif) mit einem Anpassungsbedarf von bis zu 10%, die vom PKV-Verband verschrieenen 40% sind wohl übertrieben, außer vielleicht bei den Schrotttarifen.

Re: Tarife und Selbstbeteiligung

MichaelMV @, Freitag, 13.10.2006, 18:28 (vor 6618 Tagen) @ Thomas

Hallo,

bin natürlich wieder froh über die ausführliche ANtwort .

(möchte mit dem folgenden keineswegs streiten)
Aber der Betrag der Rechnung kann sich doch nicht durch die Erstattung erhöhen, also selbst wenn ich nur 10% erstattet bekäme.
Wenn von 1000€ nur 50% erstattet weden, dann hab ich doch 500 zu zahlen.
Wie kommt man von der 1000€ Zahnarztrechnung auf 1250€

Gruss


Re: Tarife und Selbstbeteiligung

Thomas, Samstag, 14.10.2006, 16:38 (vor 6617 Tagen) @ MichaelMV

Die 1250 euro bezogen sich nicht auf die 1100 Euro Rechnung, sondern auf Ihre tatsächliche Selbstbeteiligung.

Wichtig war mir, nur zu zeigen, dass die SB von 650 nicht das einzige ist, das Sie im Jahr unter Umständen selbst bezahlen müssen.
Denn auf die SB werden nur die erstattungsfähigen Kosten angerechnet, also z.B. bei 75% erstattungsfähigem Zahnersatz nur die 75%, nicht die 25%, die Sie sowieso selbst zahlen müssen und all das, was medizinisch nicht notwendig ist und bei gewissen Tarifen auch als NICHT ANGEMESSEN angesehen wird.

Auch sog. individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL), die einem Kassenpatient schon nur sehr reduziert angeboten werden, da der sofort bar zahlen muss, werden Privatpatienten gern im normalen Behandlungsverlauf untergeschoben - diese Leistungen sind oft medizinisch nicht notwendig und werden zudem oft nicht angemessen, d.h. überhöht abgrechnet.

Gehen wir z.B. mal auf Ihr HNO-Arzt-Beispiel ein. Sie gehen als Privatpatient zum HNO-Arzt wegen einem Knalltrauma an den Ohren. Plötzlich werden Sie gefragt: "Darf ich mal in Ihren Hals (es ist nicht der Mund gemeint) reinschauen?" Sie sagen verdutzt: "JA!". Dann schaut der Herr Doktor mit einer Spezialkamera in den Hals gen Magen und nicht gen Ohren und sagt, das ja alles in Ordnung ist. So, das treibt die Rechnung aber um 50 Euro nach oben und ist - sofern der Arzt nicht lügt und als Diagnose "Halsentzündung usw." auf der Rechnung angibt - nur bedingt medizinisch notwendig und sicherlich nicht angemessen. Sind Sie in einem Top-Tarif, lächelt der Sachbearbeiter der PKV nur über den Erfindungsreichtum der Ärzte bei der Einkommensvermehrung. Sind Sie in einem Billigtarif mit Angemessenheitsklausel, wird der Sachberarbeiter schon stutzig. Würde dieses ärtzliche Vorgehen eine höhere Summe ausmachen, würde hier die Erstattung mit Sicherheit verweigert.

Und hier zeigt sich das Problem: Oft ist nicht die SB das Hauptmerkmal, ob Sie etwas selbst zahlen müssen, sondern die Bedingungen!

Je nach dem, wo Ihre gesundheitlichen Problembereiche liegen werden - haben Sie schon welche, können Sie die PKV wegen der Gesundheitsprüfung eh vergessen - gibt es unterschiedlichen Haken:
Manche PKV zahlt Masseure und Zahntechniker nur nach der Preisliste für Beihilfeberechtige (Beamte) des Bundesinnenministers, andere haben sogar eigene Preislisten, die weit darunter liegen. Ist alles kein Problem, wenn man es vorher weiß (kostenvoranschläge einreichen) und mit Verhandlungsgeschick die Preise drückt.

Doch wenn man ahnungslos zum Arzt geht und der wie die Metzgersfrau immer fragt: "Darf es noch ein bisschen mehr sein?", wird"s teuer. Da wird diese und jene neue naturheilkundliche Methode an einem exerziert usw., man wird kurzfristig für todkrank erklärt, bis man nach zehn Röntgenaufnahmen halb strahlenverseucht im Kernspin noch magnetisch die Plomben aus den Zähnen gezogen bekommt und erhält dann die frohe Kunde, dass man kerngesund ist. Und hier dürfte ein Angemessenheitstarif besonders unter den finanziellen Belastungen der Gesundheitsreform v.a. finanzielle Belastungen für Sie bedeuten oder Leistungseinschränkungen, z.B. dass Kernspins (MRT) und CTs genehmigungspflichtig werden. Doch was machen Sie, wenn diese wirklich notwendig sind und aus Kostengründen nicht genehmigt werden? Bei Kassenpatienten tritt das Problem öfter auf, doch dann wird halt ein sog. Großgeräteeinsatz abgrerechnet, der einigermaßen die Kosten deckt. Aber beim Privatpatienten bleiben Sie auf den Kosten sitzen.

Sie müssen sich nämlich einer Sache bewusst sein: Für viele Fachärzte und Krankenhäuser sind Privatpatienten die Quersubventionierungskuh für die GKV-Patienten, da wird abgerechnet, dass sich die Balken biegen. Deshalb sollten Sie wirklich bei billigen Tarifen vorsichtig sein: Denn diesen leisten nämlich dann nicht oder werden später extrem teuer!

Deshalb sind oft auch Tarife mit einer hohen Beitragsrückerstattung oft beitragsstabiler, weil die Patienten damit bestochen werden, nicht zum Arzt zu gehen. Ob dies auf Dauer in höherem Alter gesund ist, sei dahin gestellt.

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