Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV? (Krankenkassenrecht)
Martin, Mittwoch, 24.05.2006, 14:25 (vor 6758 Tagen)
Hallo,
wir befinden uns in Kinderwunschbehandlung.
Auf Anraten unseres Arztes möchten wir vom Behandlungsplan abweichen.
Aus Zeitgründen können / wollen wir aber nicht warten, bis der neue Behandlungsplan genehmigt ist, da wir sonst einen Zyklus verlieren. Infolgedessen müssen wir ein Rezept erstmal privat bezahlen.
Unsere Voranfrage bei der GKV stellt jedoch klar, daß auch bei einer Genehmigung des neuen Behandlungsplanes bereits geleistete Zahlungen nicht erstattet werden.
Nun frage ich:
1. Ist das Rechtens?
2. Wenn ja, ist das üblich?
Ich finde das ziemlich unkulant von der GKV, denn wenn wir einen Monat warten würden, bis der neue Behandlungsplan genehmigt ist, müßte die GKV doch auch zahlen... da könnte man doch schon entgegenkommen.
Ich bin da ziemlich ratlos - einen Monat warten ist Mist, aber nicht zu warten kostet 150.- EUR...
Gruß,
Martin
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Thomas, Mittwoch, 24.05.2006, 23:34 (vor 6758 Tagen) @ Martin
Ja, dies ist rechtens.
Denn Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Kostenerstattung (wie bei einer Privaten) oder Sachleistung (Chipkarte+Kassenrezept) wählen.
Bei Sachleistung treten Sie nie in Vorleistung, zahlen nur Ihre Selbstbeteiligung, sind jedoch bei Genehmigungsleistungen auf eine vorherige Genehmigung angewiesen.
Die Kostenerstattung, also eine nachträgliche Erstattung einer Privatrechnung, war wahlweise von Fall zu Fall unter schwarz-gelb bis 1998 möglich. Dies wurde 1999 abgeschafft für Pflichtversicherte.
Seit der letzten Gesundheitsreform 2004 gilt für Pflichtversicherte wie freiwillig Versicherte die gleiche Regelung: Man kann Kostenerstattung wählen, jedoch nur für alle Leistungen oder für alle ambulanten Leistungen (inkl. Medikamente). An diese Wahl ist man 12 Monate gebunden.
Damit soll erzwungen werden, dass nur derjenige die Kostenerstattung wählt, der eine private Restkostenversicherung hat oder beihilfeberechtigt ist.
Denn ohne zusätzliche Absicherung sind die doppelt- bis dreimal so hohen Privatrechnungen im ambulanten Bereich nicht zu stemmen.
Politisches Ziel hierbei war auch, die Unsitte in den 90igern abzustellen, dass einzelne Kassen(zahn)ärzte ihre Patienten zur Kostenerstattung, sprich zur Privatrechnung, zwingen wollten, um ihren Gewinn zu maximieren.
Sie sehen also, dass Sie hier Opfer einer an sich sinnvollen Regelung sind, die die Chipkartenpatienten vor der Willkür von Privatrechnungen schützen soll. Dass dies gerade im Medikamentenbereich eher unsinnig ist, sei mal dahingestellt. Aber auch hier könnten Ärzte zur Schonung Ihres Arzeimittelbudgets die Kostenerstattung missbrauchen, da hier keine Budgetierung beim Arzt erfolgt. Dem Patienten wird schlicht die Budgetierung vom Erstattungsbetrag meist in Form eines Abzugs von 7,5% abgezogen.
Deshalb sähen Sie von den 150€ auch relativ wenig, also minus 10€ Selbstbeteiligung, dann minus 5% Apotherrabatt an die GKV und dann nochmal meist minus 7,5% Budgetverzicht + Bearbeitungsgebühr (je nach Kasse sogar mindestens 15€) = also maximal 123,03€. Dann werden u.U. noch Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen abgezogen!
Also zahlen Sie es im Notfall selbst, denn sonst würden Sie im Kostenerstattungsverfahren ein Jahr lang bei jedem Medikament und v.a. bei jeder Rechnung das zigfache draufzahlen.
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Martin, Donnerstag, 25.05.2006, 00:00 (vor 6758 Tagen) @ Thomas
Hallo,
und MUSS sich die GKV so verhalten oder könnte sie kulanterweise auch erstatten? Ich habe nämlich davon durchaus auch schon mal gehört, daß nachträglich erstattet wurde.
2001 wurden uns nachträglich Kosten erstattet, welche beim Arztbesuch im Ausland anfielen (den Auslandskrankenschein wollte er nicht annehmen). Hier war also eine Erstattung möglich. Ist natürlich auch ein anderer Fall.
Das Medikament kostet übrigens 300 EUR - davon würde die GKV normal die Hälfte erstatten.
Naja, wird man wohl in den sauren Apfel beißen müssen.
Gruß,
Martin
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Thomas, Donnerstag, 25.05.2006, 00:09 (vor 6758 Tagen) @ Martin
Es ist schon klar, dass die Kinderwunschbehandlung nur zu 50% erstattet wird. Kostenerstattung kann auch im EU-, EWR- und CH-Ausland gewählt werden - wie sollte das auch in vielen Fällen anders gehen - und nach vorheriger Genehmigung der GKV bei Privatärzten ohne Kassenzulassung.
Bei Ärzten mit Kassenzulassung sind allerdings der GKV die Hände gebunden, da ein Teil Ihrer Beiträge für eben diese Leistungen schon in einen Budgettopf reingerechnet wurden, wie sollen da die Kosten für ein Rezept wieder rausgerechnet werden?
Also, wenn das eine Kasse macht - solls ja geben - ist es leider illegal. Es hilft hier gar nichts. Recht hat hier leider nichts mit richtig zu tun, sondern mit politischem Willen von Politikern, die übrigens alle beihilfeberechtigt sind und sich sogar als GKV-Versicherte mit sowas nicht herumschlagen müssen, da diese Kostenerstattung wählen können.
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Thomas, Donnerstag, 25.05.2006, 00:16 (vor 6758 Tagen) @ Thomas
So hier nochmal der Paragraph 13 des SGB V. Leider liegt hier keine unaufschiebbare Leistung nach Absatz 3 vor, wie z.B. Krebsbehandlung, und es wurde auch noch nichts zu Unrecht abgelehnt.
§ 13
Kostenerstattung
(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Sie sind von ihrer Krankenkasse vor ihrer Wahl zu beraten. Eine Beschränkung der Wahl auf den Bereich der ambulanten Behandlung ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Abs. 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge von Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Jahr gebunden.
(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 15 des Neuntes Buches erstattet.
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.
(5) Abweichend von Absatz 4 können in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Thomas, Donnerstag, 25.05.2006, 00:18 (vor 6758 Tagen) @ Thomas
Ach ja, und das war 2001. Wenn Sie z.B. freiwillig versichert sind, dann haben sich Ihre Möglichkeiten seit 2004 verschlechtert: Wie gesagt, nicht mehr Fall für Fall, sondern nur ein ganzes Jahr oder gar nicht!
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
petra , Mittwoch, 25.10.2006, 02:47 (vor 6604 Tagen) @ Thomas
Hallo Thomas,
erst einmal ein dickes Lob für so viel Beantwortungsmühe.
Kannst Du denn da nebenbei noch so ein bisserl normal arbeiten?
Ich hoffe, Dir macht das Antworten auch weiterhin Spass, ich habe beim Durchlesen wieder mal ein eigenes Problem entdeckt.
Wir leben im europäischen Ausland und unsere zu erwartenden Behandlungen der Zähne, des Herzens, der Augen etc. muss ich also stets vor BEhandlungsbeginn ankündigen und die Genehmigung abwarten?
Akupunktur im Ausland durch deutschen Arzt
petra , Montag, 25.02.2008, 16:00 (vor 6116 Tagen) @ petra
Hallo Thomas,
nun bin ich wieder hier.
Der Fall:
eine von uns betreute Rentnerin der BEK hat ihre Trigeminus-Neuralgie erfolgreich mit Akupunktur von einem deutschen, im Ausland niedergelassenen Arzt behandeln lassen und nach GoÄ bezahlt. Wie muss sie vorgehen, um eine Kostenbeteiligung der BEK durchzukämpfen?
Danke
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Sabine , Mittwoch, 29.07.2009, 12:21 (vor 5596 Tagen) @ Thomas
Hallo,
der thread war für mich schon sehr nützlich, aber ich komme leider nicht ganz auf den Betrag eines aktuellen Rezeptes (Kind - Juni 2009 - Betrag 1.409,55 - Erstattungsbetrag 1.141,74).Verwaltungskosten werden in Höhe von 40 EUR berechnet.
Können Sie mir vielleicht weiterhelfen?
Haben die Sätze sich seit Ihrem Beitrag aus 2006 eventuell erhöht?
Wo finde ich die Gesetzestexte für die von Ihnen genannten abzuziehenden Kosten?
Liegt die zu tragende, hohe Differenz denn nur daran, dass statt meiner Kasse in der 1. Zeile des Rezeptes - PRIVAT - steht?
Lieben Dank für eine Antwort,
Sabine.
Re: Nachträgliche Erstattung von Privatrezept bei GKV?
Czauderna, Mittwoch, 29.07.2009, 18:21 (vor 5596 Tagen) @ Sabine
Hallo,
das kann man leider so nicht beantworten - dazu muesste man das Rezept selbst sehen.
Es könnte sein dass ausser dem Verwaltungskostenabschlag noch der Apothekenrabatt (für Kassen) von 5% abgezogen wurde oder dass auf dem Rezept noch etwas anderes stand oder dass es tatsächlich daran liegt dass da Privat stand.
Selbstverständlich können auch seit 2006 Preisänderungen stattgefunden haben.
Gruß
Czauderna